Im Rückblick auf die Baugeschichte der Kirche war von unterschiedlichen Bauprogrammen die Rede. Die Synode der Ev. Kirche von Deutschland (EKD) hat sich auf ihrer Jahrestagung 2003 unter dem Titel: „Der Seele Raum geben. Kirchen als Orte der Besinnung und Ermutigung“ mit dem Thema Kirche beschäftigt und wesentliche Aspekte aufgezeigt. Wenige Zitate aus dem Hauptvortrag von Prof. Dr. Fulbert Steffensky seien genannt, um die unterschiedlichen Dimensionen von Kirche deutlich zu machen.
„Eine Kirche ist nicht schon dann eine Kirche, wenn sie fertig gestellt und eingeweiht ist. Eine Kirche wird eine Kirche mit jedem Kind, das darin getauft ist; mit jedem Gebet, das darin gesprochen wird, und mit jedem Toten, der darin beweint wird. Sie ist kein Kraftort, aber sie wird ein Kraftort, indem sie Menschen heiligen mit ihren Tränen und mit ihrem Jubel. Ich muss im heiligen Raum nicht eloquent sein. Ich muss mir nicht in Dauerreflexion und Dauerberedung sagen, wer ich bin; was der Sinn und das Ziel des Lebens und des Sterbens ist. Der Raum redet zu mir und erzählt mir die Geschichte und die Hoffnung meiner Toten und lebenden Geschwister. Und so baut er an meinen Wünschen und an meinen Lebensvisionen.
Eine Kirche ist der fremde Raum, nur in der Fremde kann ich mich erkennen. Der Raum erbaut mich, insofern er anders ist als die Räume, in denen ich wohne, arbeite und esse.
Eine Kirche ist ein Raum des Hörens. Über weite Strecken im Gottesdienst hören wir zu. Wir hören die Orgel, wir hören die Geschichten, wir hören die Predigt. Ein guter Raum verhilft zu einer anderen Weise des Hörens, als wir es aus einem Vortragssaal gewohnt sind. Das Hören ist meditativer.
Die Kirche soll nicht nur im öffentlichen Stadtbild erkennbar sein, sie soll die Öffentlichkeit der Stadt in sich selber aufnehmen und sie verwandeln – die Leiden einer Stadt, die großen Fragen einer Stadt, den Diskurs einer Stadt, das Gewissen einer Stadt… Eine Kirche verengt, wenn sie nur Ort des Gottesdienstes ist, und das sonntags von 10 bis 11 Uhr. Die Kirche gehört sich nicht selber, sie gehört den Leiden und den großen Fragen des Gemeinwesens. Kirche in der Stadt heißt Kirche für die Stadt. So sehr die Stadt in die Kirche geladen werden soll, so bleibt doch der Kirchenraum ein Raum der Würde.
Ich habe noch einen anderen Grund, das Schweigen und die Kargheit unserer Räume und ihrer Gottesdienste einzufordern. Kirchen sind auch Orte der Anbetung. Anbetung hat als höchsten Ausdruck das Schweigen…
Anbetung ist ein Fremdwort geworden in unserer Theologie und in unserer Frömmigkeitspraxis. Ich vermute, dass die Skrupellosigkeit, mit der wir mit der außermenschlichen Natur umgehen – mit dem Wasser, der Atemluft unserer Kinder und Enkel, mit den Bäumen und mit den Tieren – etwas zu tun hat mit dem Verlust des Wortes Anbetung und mit der Sache, die damit gemeint ist. Je mehr wir Gott verlieren, umso mehr werden wir uns selber Objekte der Anbetung.“
Die Anforderungen, die an eine Kirche gestellt werden, sind also mehr als wir im ersten Moment glauben mögen. Schon Johannes Calvin hat vor fast 500 Jahren für das Kirchengebäude formuliert: „Wie nun Gott den Gläubigen das gemeinsame Gebet in seinem Wort gebietet, so müssen auch öffentliche Kirchengebäude da sein, die zum Vollzug der Gebete bestimmt sind…Nur muss dabei alles Gepränge und alles Haschen nach menschlichem Ruhm wegbleiben, und es muss lautere, wahre Andacht herrschen, die im Verborgenen des Herzens wohnt.“ (Institutio III, 20, 30)